Tramunfälle in Zürich: Drei Tote in fünf Tagen. Jetzt spricht ein Trampilot (2024)

Interview

Vergangene Woche verloren in der Stadt Zürich mehr Menschen durch einen Tramunfall ihr Leben als im ganzen letzten Jahr. Unterdessen ist der Mann, der auf der Bahnhofbrücke unters Tram geriet, identifiziert.

Jenny Bargetzi

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Tramunfälle in Zürich: Drei Tote in fünf Tagen. Jetzt spricht ein Trampilot (1)

In Zürich ereigneten sich letzte Woche gleich drei tödliche Tramunfälle. Am Montag stürzte eine Fussgängerin bei der Haltestelle Oerlikon Ost zwischen Tram und Perron. Die Frau wurde in kritischem Zustand ins Spital gebracht und verstarb am nächsten Morgen. Am Freitagabend kollidierte ein Velofahrer im Kreis 5 mit einem Tram. Er erlag am nächsten Morgen seinen Verletzungen. Ebenfalls am Freitagabend geriet ein weiterer Fussgänger beim Hauptbahnhof Zürich unter ein Tram. Er starb noch an der Unfallstelle.

Unterdessen haben die Stadtpolizei und das Institut für Rechtsmedizin den Mann identifiziert. Es handelt sich um einen 35-jährigen Schweizer.

Die Zürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) melden damit innerhalb von fünf Tagen mehr Todesfälle durch Tramkollisionen als im gesamten Jahr 2023 und gleich viele wie im Jahr 2022.

Das sorgt auch beim Trampersonal für Gesprächsstoff, wie Heinz Schulthess sagt. Er ist Präsident des Personalverbands «Transfair – VBZ Züri-Linie» und seit 17 Jahren Tramführer.

Wie ist die Stimmung unter den Tramchauffeuren?

Sehr gedrückt. Die Unfälle sind ein Riesenthema im Tramdepot, und es herrscht grosses Mitgefühl mit den Opfern, ihren Angehörigen, aber auch den Arbeitskollegen. Man fragt sich, wie so etwas passieren konnte und was man hätte anders machen können. Die drei Fälle von letzter Woche sind jedoch sehr unterschiedlich und schwer zu vergleichen.

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Gleich drei Unfälle in einer Woche: Wie erklären Sie sich das?

Es gibt jeden Tag Situationen, die schlimm oder sogar tödlich enden können. Die meisten davon lassen sich durch Voraussicht und Glück verhindern. Aber plötzlich passiert es dann doch einmal. Das Pech gewinnt die Oberhand. Wir Tramchauffeure müssen damit rechnen – Unfälle gehören zu unserem Alltag. Jeder Tag, an dem man gesund und ohne Unfall nach Hause geht, ist ein guter Tag.

Wie gehen Sie damit um, dass jederzeit etwas passieren kann?

Man prägt sich die schwierigen Ecken und grossen Plätze ein und passt seinen Fahrstil entsprechend an. Am Central, am Bellevue oder an der Bahnhofstrasse erwarten wir hinter jedem Tram einen Fussgänger. Oder die Weinbergstrasse: Dort fahren die Velofahrerinnen und Velofahrer mit viel Schwung den Hang hinunter. Da muss man sich als Tramchauffeur extrem konzentrieren. Doch die Erfahrung hilft. Sie ist wie ein siebter Sinn: Man spürt, wenn etwas kommt, und bereitet sich darauf vor.

Als Tramchauffeur ist man also ständig in Gedanken beim nächsten möglichen Unfall.

Die Vorsicht ist immer dabei. Wir können nicht ausweichen, und der Bremsweg ist etwa dreimal so lang wie bei Autos. Gerade bei Nieselregen, denn dann wird der Dreck auf den Schienen schmierig und rutscht mehr.

Zu tödlichen Zusammenstössen mit Trams oder Bussen kommt es in Zürich selten, zwischen zwei und vier Mal pro Jahr. Häufiger sind weniger gravierende Unfälle. 733 Kollisionen mit Fahrzeugen und 675 Unfälle mit Körperverletzung gab es vergangenes Jahr. Während bei den Kollisionen die Tendenz sinkend ist, ist die Anzahl Unfälle mit Körperverletzung damit auf ein Rekordhoch gestiegen.

Mehr Unfälle mit Körperverletzung, trotz weniger Fahrzeugkollisionen

Anzahl Schadensereignisse durch Tram und Bus, 2018–2023

Unfälle mit Körperverletzung

Kollisionen mit Fahrzeugen

NZZ / jba.

Unfallereignisse würden jeweils eingehend analysiert und allfällige Sicherheitsrisiken nach deren Erkennung beseitigt, schreiben die VBZ auf Anfrage. Die Häufung der Tramunfälle von vergangener Woche sei tragisch. Die genauen Ursachen und Unfallhergänge würden noch untersucht.

Unabhängig davon mahnen die VBZ zur Vorsicht beim Überqueren von Tramschienen: «Das Tram hat immer Vortritt, auch beim Fussgängerstreifen, bei der Einfahrt/Wegfahrt aus der Haltestelle und in Fussgängerzonen.»

Es sind eigentlich elementare Regeln, doch ihre Einhaltung ist offensichtlich nicht selbstverständlich.

Herr Schulthess, Sie sind seit 17 Jahren im Dienst. Wie erleben Sie den Alltag auf den Zürcher Strassen?

Die Stimmung ist häufig angespannt. Wenn uns Personen vors Tram laufen und wir eine Notbremsung machen müssen, wird die Tramglocke automatisch ausgelöst. Einige Menschen fühlen sich ertappt und angegriffen. Sie werden uns gegenüber aggressiv. Ausserdem hat der Verkehr zugenommen. Gerade zur Hauptverkehrszeit wird um jeden Meter gekämpft. Jeder drückt sich irgendwo durch. Dass wir als Tramchauffeure mit 200 Passagieren im Wagen nicht einfach schnell bremsen können, wird dabei häufig vergessen.

Das tönt ziemlich stressig.

Es gibt Tage, an denen man solche Vorfälle gut verarbeiten kann, und solche, an denen es an einem nagt. Dann muss man sich zusammenreissen und zu sich sagen: «Du lässt dich nicht anstecken. Du machst dieses Spiel, dieses Gehetze nicht mit.» Doch am Ende sind wir alle nur Menschen.

Zurück zu den Unfällen der letzten Tage: Laut Zeugen soll eines der Opfer über die Kupplung des Trams gesprungen sein, als dieses losfuhr. Kommen solche riskanten Vorfälle häufig vor?

Es gibt immer wieder Leute, die auf der Kupplung mitfahren. Oder solche, die knapp vor dem Tram durchspringen. Da sind einzelne Sekunden entscheidend. Früher passierte das aber viel öfter. An den Wochenenden konnte man abends kaum eine Rundfahrt mit der 7 machen, ohne dass jemand die Notbremse zog. Das hat zum Glück abgenommen.

Was war Ihr prägendstes Ereignis in der Führerkabine?

Auf der Bahnhofstrasse ist mir einmal ein Kinderwagen vor das Tram gerollt. Ich zog die Notbremse und kam zum Glück noch rechtzeitig zum Stehen. Diese Momente, wenn Kinder dabei sind, sind die schlimmsten. Auch wenn nichts passiert. Ein anderes Mal bin ich mit einem Lastwagen zusammengestossen. Zum Glück wurde niemand verletzt. Solche Unfälle prägen einen sehr.

Was können Fussgänger und Passagiere anders machen?

Allen Verkehrsteilnehmern würde mehr Gelassenheit guttun. Und dass sie die rudimentären Verkehrsregeln kennen: Für Autofahrer heisst das zum Beispiel erst blinken, dann abbiegen. Nicht alles gleichzeitig. Das hat wirklich extrem zugenommen. Oder: nie mit Kindern direkt hinter anderen Fahrzeugen durchlaufen. Wir haben keine Chance, sie zu sehen.

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